Dies Domini – Dritter Adventssonntag, Lesejahr B
Darf ich Sie heute einmal bitten, mit mir auf eine Reise zu gehen? Nicht weit, nicht tausende Kilometer, nur ein paar Jahrzehnte zurück. Lehnen Sie sich einmal zurück und stellen Sie sich vor, kurz vor der Christmette sagen wir, 1858 in Paris zu sein. Kein Internet, kein Privatfernsehen, nicht einmal öffentlich-rechtliches. Kein Telefon, eigentlich auch noch keine richtigen Tageszeitungen. Das war vor etwa 150 Jahren. So etwa vor fünf Generationen, also zur Zeit Ihrer Urur-Großeltern. Nicht so riesig weit weg.
Sie wussten, was in der Kirche sein würde, wenn Sie sie zur Weihnachtszeit besuchen würden, wie man das halt so tat. Ein Weihnachtsoratorium würde aufgeführt werden, das der neue Organist von La Madeleine komponiert hatte. Sie hatten nun kein spotify, um sich bei andern zu informieren, was das wohl sei, ein „Oratorium“. Bach? Sowieso vergessen. Naja, Musik halt, wird schon vorbeigehen.
Und dann sitzen Sie da, in dieser Pariser Kirche und hören die Uraufführung von etwas, was sie noch nie gehört haben und mit nichts vergleichen können. Weil es all diese Vergleichsmechanismen, Rankings und Toptips noch nicht gab, Sie müssen einfach selbst entscheiden, ob das etwas gescheites ist, was Sie da hören. Und Sie schmelzen dahin, wie Butter in der Sonne: das süßeste, was Sie in Ihre Ohren träufeln lassen können, ohne dass es kitschig ist. Camille Saint-Saens heißt Ihr Organist und es geht um ein schreckliches, aber eben auch unbeschreiblich süsses Geheimnis, das Geheimnis der Heiligen Nacht.
Schließen Sie die Augen und hören Sie die Stimme des Rufers in der Wüste:
„Mitten unter Euch steht einer, den Ihr nicht kennt, der nach mir kommt; ich bin nicht würdig, ihm die Riemen der Sandalen zu lösen.“ (Joh 1,26f.)
Für mich konzentriert sich darin diese Nacht, darin, dass wirklich in diesem Kind Gott in die Welt kommt, als Mensch, mitten unter uns und ohne Liebe nicht zu erkennen. Als ein Wesen von Fleisch und Blut, das für uns hingegeben und vergossen wird, damit wir zu dem werden können, was Er von uns will: sein Ebenbild.
Ja, das ist zu viel. Zu groß, zu kitschig, zu süss. Ich kann es nicht ändern. Das ist Weihnachten.
Katharina Nowak
Author: Katharina Nowak
Katharina Nowak ist Diplom Theologin. Sie studierte in Bonn und arbeitet seit 2009 als theologische Assistentin bei der Katholischen Citykirche Wuppertal.
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